Meine Einweihung
Ich schwebe. Seit Stunden und bald Tagen komme ich nicht richtig an, in diesem Leben. Es ist schwer zu fassen, was ich gerade erlebt habe. Meine Gedanken driften immer wieder ab, zurück zu den vielen Stunden meines geleisteten Einsatzes. Mein Geist ist wie benebelt, fliegt irgendwo zwischen den Welten umher, ist mal hier, mal dort. Unglaublich, was ich erlebt habe.
Am Freitag klingelt mein Telefon, mit diesem speziell für diesen Moment eingestellten Klingelton. “The Hobbit - An unexpected Journey”, und das wird es, das weiss ich schon, als ich den Klingelton zu Beginn meines Pikett-Dienstes eingestellt habe. Denn das tut es immer, jede Geburt ist eine unerwartete Reise. Du weisst, sie startet irgendwann, aber wie der Weg zum Ziel aussieht, das bleibt ein Geheimnis – zumindest beim Start. Meine Freude ist riesig, ich springe jauchzend durch die Wohnung und küsse meinen Hund von oben bis unten ab. Es geht endlich los! Meine erste Doula Geburtsbegleitung! Ich gebe der Freude Raum, lasse sie durch all meine Zellen und Poren fliessen, tanze, springe, lache und jauchze. Dann, einatmen, ausatmen. Phu! Also, was muss ich jetzt machen, damit ich guten Gewissens los kann? Erstmal raus, mit dem Hund Pipi machen und mich erden.
Im Wald sauge ich die ruhige Energie auf, lausche den Vögeln, dem Wind in den Blättern, ziehe meine Schuhe aus, laufe Barfuss. An meiner Lieblingslichtung angekommen sammle ich Gaben für Mutter Erde, ich möchte ihr ein Mandala schenken und um ihre Weisheit, Unterstützung und ihren Schutz fragen. Ich lege meine Gaben nieder und bete. Ich bete für Schutz und Segen für meine Schwangere, ihr Kind und diese Geburt. Ich bedanke mich aus tiefstem Herzen für diesen Weg. Ich verweile mit meinen Händen auf der Erde, sie werden wärmer und wärmer, die Energie von Mutter Erde fliesst durch meine Hände. Jetzt bin ich bereit. Zu Hause prüfe ich nochmals meine Doula-Tasche, ist alles drin? Alles gepackt?
Dann klingelt mein Telefon nochmals, der Start, also die Einleitung, wird auf morgen Samstag verschoben. Meine Frau ist froh, nochmals ein paar Stunden Schlaf zu bekommen und die letzten Stunden mit Baby im Bauch geniessen zu dürfen.
Der nächste Tag. Bevor ich mich auf den Weg mache, meditiere ich. Ich stelle meinen ganzen Geist und Körper auf das bevorstehende Erlebnis ein, darauf für mein Paar da zu sein, ihre Geschichte entfalten zu lassen und meine eigene ganz aussen vor zu lassen. Das Ego zur Seite stellen, zu Hause lassen. Am Geburtsort angekommen schliesse ich mein Paar freudig in die Arme. Gemeinsam betreten wir das Zimmer, in dem der neue Erdenbürger auf die Welt kommen soll. Wir richten uns ein und lassen uns auf dieses Abenteuer ein. Viele Stunden vergehen, Mama und Baby arbeiten hart und auch der Papa ist voll da. Er unterstützt seine Partnerin mit Fussmassagen, Liebkosungen, als DJ und Kommunikator zur Aussenwelt. Nach ein paar Stunden Erholung und Schlaf geht es weiter, bis das Baby schliesslich auf der Welt ist. Erleichterung durchflutet mich. Wir haben es geschafft!
Die Begleitung von Mama und Papa in diesen letzten Stunden war hoch emotional, hat meine volle Präsenz gefordert, mein ganzes Sein gebraucht. Als ich den ersten Schrei von Baby I. gehört habe, liefen auch mir die Tränen runter, aber wenn ich ehrlich bin, sind sie das schon vorher. Denn ich war so berührt von der Stärke, der Willenskraft und der unendlichen Liebe der Mama. Ich habe sie auf die Stirn geküsst, ihr gesagt, wie unglaublich stolz ich auf sie bin. In all diesen Stunden habe ich ihre Hand gehalten, mit ihr geatmet, sie beraten und umsorgt, ihr Mut zugesprochen, sie gelobt und motiviert. Beruhigt, wenn sie ängstlich oder unsicher war, ihr über den Kopf gestrichen, kalte Waschlappen in den Nacken gelegt und alle ihre Emotionen mit aufgenommen. Und diese Emotionen brachen durch und kurz dachte ich: “Ist das professionell, wenn ich hier so weine?” Und dann dachte ich: “Ach Fuck it! Ich fühle mit! Ich bin Vielfühlerin, das macht mich so gut für diesen Job! Weine Jacky! FÜHL ES!”
Nach der Geburt von Baby I. bleibe ich noch eine Weile bei meinem Paar. Die Mama meint sogar: “Jacky, du bleibst so lange wie du möchtest! Es ist so schön, dass du da bist.” Ich schaue mit den Hebammen, dass das gewünschte Nabelschnurbändchen angebracht wird, die Plazenta-Nosode für die Globuli abgeschnitten wird und freue mich sehr, als sich mein Paar spontan dazu entscheidet, die Plazenta doch noch mit nach Hause zu nehmen. Sie wollen sie im Garten vergraben. Doch dann spüre ich, es ist Zeit für den Abschied, es war ein langer und intensiver Einsatz und ich vermisse meine Familie gerade sehr. Mama S. beim Abschied: “Jacky, du hast wirklich deine Berufung gefunden! Es war so wertvoll, dich dabei gehabt zu haben, es war die beste Entscheidung! Wie können wir dir nur jemals Danken??” Und ich habe, wieder einmal, Tränen in den Augen, ich bin so gerührt von ihren Worten. Denn sie spricht aus, was ich fühle: Ja, ich habe meine Berufung gefunden. Beim Abschied umarmen auch der Papa und ich uns noch einmal so richtig. Auch er flüstert mir ins Ohr, wie wertvoll meine Präsenz war, und dass es absolut die beste Entscheidung gewesen sei, mich zu engagieren. Und dass sie auf jeden Fall ganz, ganz viel Werbung für mich machen werden!
H’ach ihr zwei Süssmäuse! Mit vollem Herzen, wässrigen Augen und meiner Doula-Tasche um die Schultern verlasse ich das Zimmer und mache mich auf den Nachhauseweg. Zu Hause angekommen schliesse ich meine Tochter fest in die Arme. Am Abend gehe ich nochmals raus, mit dabei ein Becken mit meinem frischen Menstruationsblut. Ich übergebe es an Mutter Erde und meinem Holler-Strauch vor dem Haus, zusammen mit einem Dankes-Gebet. Ich bedanke mich bei Mutter Erde dafür, dass sie über meine Schwangere und ihr Baby gewacht hat, sie beschützt hat, mich geleitet und begleitet hat. Dafür, dass die Geburt gut gegangen war und ich so viel lernen durfte.
Und jetzt, jetzt sind ein paar Tage vergangen, aber wirklich angekommen bin ich immer noch nicht. Ich bin immer noch am Verarbeiten, Integrieren, Verstehen, Emotionen leben, Reflektieren, Notieren, mein Leben hinterfragen… phuu, die ganze Palette! Ich komm grad garnicht klar und merke, ich brauche wohl noch eine ganze Weile, bis ich dieses unglaubliche Erlebnis verarbeitet habe. Was ich aber ganz deutlich spüre, ist, dass sich mein Leben gerade vor meinen Augen verändert. Ich werde nie mehr zurückgehen können, zurück zu einem Leben, in dem ich nicht Doula bin. Ich war Zeugin davon, welche Kräfte und welcher Wille in einer Frau und Mutter stecken, wie viel sie bereit sind zu geben, damit ihr Kind auf die Welt kommen kann. Wie flexibel Frauen unter Geburt manchmal sein müssen, weil keine Geburt gleich ist und der Weg immer unerwartete Wendungen nehmen kann. Wie bereichernd ein Partner ist, der da ist, der sich kümmert, der ernst nimmt und aktiv ist. Und ich durfte erleben, wie unglaublich wertvoll es für beide Elternteile ist, wenn eine Doula dabei ist. Eine vertraute Person, die vorhergegangene Geburtserlebnisse kennt, die Ängste und Sorgen gehört hat, die die Wünsche des Paares für die Geburt kennt und als konstante Stütze immer an ihrer Seite ist – egal, wie viele Schichtwechsel die liebevollen und engagierten Hebammen hinter sich bringen. Und auch dafür bin ich unendlich dankbar, dass meine erste Geburtsbegleitung gemeinsam mit so tollen und freundlichen Hebammen sein durfte.
Diese erste Geburtsbegleitung wird für immer einen speziellen Platz in meinem Herzen haben. Und ich freue mich sehr, auf alle Begleitungen, die noch kommen werden, auf alles, was ich auf diesem Weg lernen darf, auf jede neue Erkenntnis die ich haben darf, jede neue Begegnung und alle die Menschen, die ich in mein Herz schliessen und mit Liebe begleiten darf. Demütig, dankbar, voller Liebe und Vertrauen blicke ich auf diese erste Geburtsbegleitung zurück.
Von Wolke 7 oder noch höher,
Jacky